Das Titelbild: Die Melodie, hier mit der ersten Strophe des Hymnus "Creator alme siderum" betextet, ist eine Kontrafaktur einer um das Jahr 1000 aus dem Kloster Kempten stammenden Komposition im vierten Kirchenton (hypophrygisch).

Conditor alme siderum / Creator alme siderum

Das Problem mit der melodisch falschen Betonung des "Conditor"

Der ursprüngliche Hymnus hieß "Conditor alme siderum". Er wird im Advent zur Versper gesungen. Da zu diesem Hymnus eine jambische Melodie komponiert wurde, der Hymnus aber nicht durchgehend jambisch ist, gab es Probleme, die sich vor allem auf den Anfang des Hymnus, "Cónditor", auf Deutsch: "Gründer" beziehen. Bei diesem "cónditor" wird die erste Silbe betont, weil das "i" in der Mitte und damit auch die mittlere Silbe "di" kurz ist. Die Melodie betont aber die zweite Silbe und legt somit das Wort "conditor" mit langem und betontem "i" in der Mitte nahe, was aber in etwa dem heutigen Wort "Bäcker" entspricht. Und so liest sich dann der erste Vers "Conditor alme siderum" wie "Erhabener Bäcker der Gestirne" oder, um der Weihnachtsstimmung der westlichen Welt Rechnung zu tragen, wie "Erhabener Weihnachtsplätzchenbäcker".

Unter Papst Urban VIII. wurde im Jahre 1632 dieser Hymnus deshalb im römischen Brevier durch den Hymnus "Creator alme siderum", auf Deutsch: "Erhabener Schöpfer der Gestirne", ersetzt. Er entspricht einem jambischen Dimeter in der quantitierenden Metrik. Er ist auch hiatfrei, das heißt, jeglicher Hiat wird vermieden. Darauf wird im entsprechenden Abschnitt weiter eingegangen.

Manche wirken diesem Problem dadurch ein wenig entgegen, indem sie auf die erste Silbe des Wortes "conditor" zwei Töne legen: "co-on-di-tor", sodass man die Betonung auch ein wenig auf dem ersten Teil, "co", der ersten Silbe spürt. So machen das die Gruppen Ozan Karagöz Müzik und Blue Heron im dritten bzw. vierten Video. Wir beginnen nun mit diesem ursprünglichen Hymus.

Cónditor alme siderum

Lateinischer Original-Text mit Übersetzung sowie der deutsche Text nach Thomas Müntzer im Evangelischen Gesangbuch

Lateinischer Text
(Kempten, 10. Jahrhundert)

Übersetzung ins Deutsche
Wikipedia-Benuter
Rabanus Flavus

Deutscher Text
im Evangelischen Gesangbuch
nach Thomas Müntzer

 

1 .  S t r o p h e

Conditor alme siderum,
aeterna lux credentium,
Christe, redemptor omnium,
exaudi preces supplicum.

Erhabener Schöpfer der Gestirne,
ewiges Licht der Glaubenden,
Christus, Erlöser aller,
erhöre die Bitten der Flehenden.

Gott, heilger Schöpfer aller Stern,
erleucht uns, die wir sind so fern,
daß wir erkennen Jesus Christ,
der für uns Mensch geworden ist.

2 .  S t r o p h e

Qui condolens interitu
mortis perire saeculum,
salvasti mundum languidum,
donans reis remedium,

Mitleidend mit der Welt,
die im Todesuntergang verging,
hast du die kranke Welt gerettet,
indem du den Angeklagten das Heilmittel schenktest;

Denn es ging dir zu Herzen sehr,
da wir gefangen waren schwer
und sollten gar des Todes sein;
drum nahm er auf sich Schuld und Pein.

3 .  S t r o p h e

Vergente mundi vespere,
uti sponsus de thalamo,
egressus honestissima
Virginis matris clausula.

als der Abend der Welt sich senkte,
wie der Bräutigam aus dem Brautgemach
hervorgegangen aus der ehrwürdigsten
Zelle der jungfräulichen Mutter;

Da sich die Welt zum Abend wandt,
der Bräut’gam Christus ward gesandt.
Aus seiner Mutter Kämmerlein
ging er hervor als klarer Schein.

4 .  S t r o p h e

Cuius forti potentiae
genu curvantur omnia;
caelestia, terrestria
nutu fatentur subdita.

du, vor dessen gewaltiger Macht
alles die Knie beugt,
Mächte des Himmels und der Erde
auf dessen Wink sich unterworfen bekennen.

Gezeigt hat er sein groß Gewalt,
daß es in aller Welt erschallt,
sich beugen müssen alle Knie
im Himmel und auf Erden hie.

5 .  S t r o p h e

Occasum sol custodiens,
Luna pallorem retinens,
Candor in astris relucens
Certos observant limites.

Die Sonne, die ihre Untergangszeit einhält,
der Mond, der seinen bleichen Schein behält,
der weiße Glanz, der in den Sternen widerleuchtet,
sie beachten die bestimmten Grenzen.

 

6 .  S t r o p h e

Te, Sancte, fide quaesumus,
venture iudex saeculi,
conserva nos in tempore
hostis a telo perfidi.

Dich, Heiliger, bitten wir vertrauensvoll,
kommender Richter der Welt,
bewahre uns in der Zeit
vor dem Geschoss des treulosen Feindes.

Wir bitten dich, o heilger Christ,
der du zukünftig Richter bist,
lehr uns zuvor dein’ Willen tun
und an dem Glauben nehmen zu.

7 .  S t r o p h e

Laus, honor, virtus, gloria
Deo Patri cum Filio
Sancto simul Paraclito,
in sempiterna saecula.

Lob, Ehre, Macht, Herrlichkeit
Gott dem Vater mit dem Sohn
wie auch dem heiligen Tröster
in alle Ewigkeit.

Lob, Preis sei, Vater, deiner Kraft
und deinem Sohn, der all Ding schafft,
dem heilgen Tröster auch zugleich
so hier wie dort im Himmelreich.

Noten und Melodie mehrstimmig

Auf dem Titelbild ganz oben ist die einstimmige Melodie auf einen Blick zu sehen, jedoch mit dem jambischen Text des Creator alme siderum, der extra zu dieser jambischen Melodie geschrieben worden ist. Hier aber können wir eine vierstimmige Melodie sehen und anhören.

Maitrise Notre Dame de París: 1.– 4., 6. und andere letzte Strophe

D i e   a n d e r e   D o x o l o g i e -  S t r o p h e

Sit, Christe, rex piissime,
tibi Patrique gloria
cum Spiritu Paraclito,
in sempiterna saecula.

Es sei, Christus, liebevollster König,
dir und dem Vater der Ruhm
mit dem Geist, dem Tröster,
in alle Ewigkeit.

Ozan Karagöz Müzik: 1.– 4. Strophe; 6.–7. Str. leicht verändert

Nach Auslassung der 5. Strophe beginnt hier die 6. Strophe mit "Te deprecamur, ultime" ("Dich bitten wir inständig, letzter" kommen werdender Richter der Welt).

Die Doxologie-Strophe am Ende hat im zweiten Vers "et Filio" ("und dem Sohn") statt "cum Filio" ("mit dem Sohn") und endet mit dem bekannten Schluss "in saeculorum saecula" statt "in sempiterna saecula"), was man in beiden Fällen mit "in alle Ewigkeit" ins Deutsche überträgt.

Blue Heron

Nach Auslassung der 5. Strophe beginnt hier die 6. Strophe mit "Te deprecamur, hagie" ("Dich bitten wir inständig, heiliger" kommen werdender Richter der Welt). Im vorausgehenden Video hieß es übrigens "ultime" statt des hier verwendeten griecischen Wortes "hagie" für "heiliger".

Die Doxologie-Strophe am Ende hat auch hier im zweiten Vers "et Filio" ("und dem Sohn") statt "cum Filio" ("mit dem Sohn") und endet mit dem bekannten Schluss "in saeculorum saecula" statt "in sempiterna saecula"), was man in beiden Fällen mit "in alle Ewigkeit" ins Deutsche überträgt.

Creator alme siderum

Zur jambischen Melodie ein Hymnustext im jambischen Dimeter

Die Melodie zu diesesm Hymnus zeigt das Titelbild ganz oben auf einen Blick. Sie ist deutlich jambisch, obwohl der ursprüngliche Hymnus "Conditor alme siderum" gar nicht durchgängig jambisch ist. Das größte Problem besteht dabei im ersten Wort "conditor", das wegen des kurzen "i" und der damit verbundenen Kürze der vorletzten Silbe "di" auf der drittletzten, das heißt hier, der ersten Silbe "con" betont wird. Aus diesem Grund wurde 1632 unter Papst Urban VIII. der Hymnentext im Bevier zum Hymnus "Creator alme dierum" so verändert, dass er nun durchgehend dem quantitierenden (d.h., gemäß Silbenlänge) Versmaß eines jambischen Dimeters folgt:

 

×—ˌ◡—|×—ˌ◡

 

Dabei sind die beiden Metren durch den Senkrecht-Strich "|" und die beiden Versfüße jedes Metrums durch den Punkt getrennt. Ein × bedeuet eine beliebige, ein — eine lange und ein ◡ eine kurze Silbe. Das Zeichen bedeutet, dass eine mit Kurvokal endende und damit kurze Silbe am Schluss des Verses durch langen Gebrauch des kurzen Schlussvokals lang wird, oder anders ausgedrückt, dass die Pausalform der Schlusssilbe am Ende des Verses in Kraft tritt.

Der lateinische Text mit wörtlicher und metrischer Übersetzung

Lateinischer Text
im Brevier von 1632
unter Papst Urban VIII.

Wörtliche Übersetzung
ins Deutsche
Martin Bachmaier

Metrischer deutscher Text
Richard Zoozmann
(1863–1934)

 

1 .  S t r o p h e

Creator alme siderum,
æterna lux credentium,
Iesu, Redemptor omnium,
intende votis supplicum.

Erhabener Schöpfer der Gestirne,
ewiges Licht der Glaubenden,
Jesus, Erlöser aller,
achte auf die Wünsche der Flehenden.

Allmächt'ger Sternenschöpfer du,
allew'ges Licht der Glaubenden,
Jesu, Heilbringer aller Welt,
hör unser demutvoll Gebet.

2 .  S t r o p h e

Qui dæmonis ne fraudibus
periret orbis, impetu
amoris actus, languidi
mundi medela factus es.

Damit nicht durch des Dämons Tücken,
zugrunde geht der Erdkreis, bist du, von ei-
nem Ansturm an Liebe getrieben, der kran-
ken Welt Heilmittel geworden.

Dass nicht durch Satans List und Trug
die Welt verderbe, wurdest du
aus reiner Liebe Eifertrieb
der schwererkrankten Schöpfung Arzt.

3 .  S t r o p h e

Commune qui mundi nefas
ut expirares, ad crucem
e Virginis sacrario
intacta prodis victima.

Damit du das gemeine Unrecht der Welt
sühnst, gehst du zum Kreuz hin
aus einer Jungfrau Heiligtum
als unversehrtes Opfer hervor.

Dass du der Menschheit Sündenschuld
am Kreuze tilgest, gehest du
aus einer Jungfrau heil'gem Schoß
als Opfer makellos hervor.

4 .  S t r o p h e

Cuius potestas gloriæ,
nomenque cum primum sonat,
et cælites et inferi
tremente curvantur genu.

Wenn dessen Gewalt des Ruhmes
und des Namens erstmals ertönt,
beugen sich sowohl die Himmels- als auch
die Höllenbewohner mit zitternder Knie.

Vor ihm, des' Ruhmes Großgewalt
und Namensklang vor allem schallt,
fällt Engelchor und Teufelstrupp
angstvoll-erbebend in die Knie.

5 .  S t r o p h e

Te deprecamur ultimæ
magnum diei iudicem,
armis supernæ gratiæ
defende nos ab hostibus.

Instädnig bitten wir dich, des letzten
Tages großen Richter:
mit Waffen der oberen Gnade
verteidige uns vor den Feinden.

Drum bitten wir, des Jüngsten Tags
allmachtgewaltigen Richter dich:
mit deiner Himmelsgnade Schild
verteid'ge vor den Feinden uns.

6 .  S t r o p h e

Virtus, honor, laus, gloria
Deo Patri cum Filio,
Sancto simul Paraclito,
in sæcularum sæculo.

Macht, Ehre, Lob, Herrlichkeit
Gott dem Vater mit dem Sohne,
zusammen mit dem heiligen Tröster
in alle Ewigkeit.

Lob, Ehre, Vollkraft, Ruhmeszier
sei Gott, dem Vater und dem Sohn
mitsamt dem heiligen Tröstergeist
durch die zeitungebund'ne Zeit.

Die Hiat-Vermeidung

Ein Hiat entsteht, wenn auf ein Wort, das mit einem Vokal, dem sogar  noch ein "m" angehängt sein darf, endet, ein Wort folgt, das mit einem Vokal, dem sogar noch ein "h" vorausgehen darf, beginnt. In diesem Falle würden nämlich in der klassischen Aussprache des Lateinsichen End- und Anfagnssilbe der besagten beiden Wörter zu einer einzigen Silbe verschmelzen, wobei mit wenigen Ausnahmen der Anfangsvokal der zweiten Wortes die Vokal-Färbung beherrscht.

So eine Aussprache wäre heutzutage schwer vermittelbar, und sie wird allenfalls noch in romanischen Ländern praktiziert,  und da auch nur in dem Fall, wo gleiche Vokale aufeinandertreffen. So spicht man etwa "pro oriente" wie "proriente".

In kirchlichen Texten werden eigentlich entgegen der klassischen Regel immer die Vokale beider Silben voll ausgesprochen. Um diese Diskrepanz zwischen Klassik und kirchlicher Aussprache zu vermeiden, ist es halt am besten, wenn das Problem des Hiat gar nicht erst entsteht, und dem trägt, der vorausgehende Hymnentext Rechnung.

Emma Nwobilor, Caitlin Foster, Michael Foster und John Griffith – mit Text und Noten

Giovanni Vianini, Schola Gregoriana Mediolanensis – mit Text und Noten

Verbum Gloriae – mit Text und Noten

Rebecca Gorzynska – a cappella – mit dem Text im Video

Daughters of Mary

CantArte Regensburg

Richard Buchard – Gregorianik im Wechsel mit anderen Melodien

The Saint Paul Seminary Schola – Gregorianik im Wechsel mit anderen Melodien

Benedictines of Mary, Queen of Apostles – Andere Melodien im Wechsel mit der Gregorianik

Druckversion | Sitemap
© galli cantus